Der phänomenale Stroop-Effekt

 

 

Der Stroop-Effekt – einer der faszinierendsten Phänomene der Experimentellen Psychologie gibt Hirnforschern seit Jahrzehnten Rätsel auf.

 

Wer das Wort „grün“ in roter Schrift liest, braucht länger zur Benennung der Druckfarbe, als jemand, der das Wort „grün“ auch tatsächlich in grüner Farbe gedruckt vor sich sieht. Dieser Effekt beschäftigt Wahrnehmungspsychologen bereits seit mehreren Jahrzehnten und hat Auswirkungen bis hin zur Verkehrspsychologie und zur Farbgestaltung. Eine Erklärung dafür ist, dass zwei sehr ähnliche Fähigkeiten, die beide mit Sprache zu tun haben, gleichzeitig beansprucht werden. Das Gehirn muss die gesehene Farbe in ein gesprochenes Wort übersetzen, während es zeitgleich auch ein geschriebenes Wort liest. Und obwohl es die Farbe klar erkennt, will es automatisch erst das Wort lesen. Die beiden Fähigkeiten – Lesen und Erkennen – kommen sich also in die Quere, wir müssen uns stärker konzentrieren, um keine Fehler zu machen, und deshalb brauchen wir für den zweiten Versuchsteil auch viel länger. 

 

Erstmals ausführlich beschrieben hat das Phänomen 1935 der amerikanische Psychologe John Ridley Stroop. Er nannte es Farb-Wort-Interferenz, und es bedeutet Folgendes: Wenn sich die Druckfarbe des Wortes und dessen Bedeutung voneinander unterscheiden, also inkongruent sind, erfolgt das Benennen des Farbtons verzögert. Dieses wird auch als mühsam erlebt und ist sogar fehleranfällig. 

 

Das Lesen des Wortes dagegen bereitet trotz der Inkongruenz keine Probleme. Selbst wenn man die Reize getrennt voneinander darbietet, etwa wenn das Wort „grün“ in normaler schwarzer Schrift und daneben ein roter Farbklecks gesetzt wird, erfolgt das Lesen immer noch um etwa 100 Millisekunden schneller als die Benennung der Farbe, wie Messungen ergeben haben. Auch bei anderen inkongruenten Reizen funktioniert der Stroop-Effekt, etwa beim Hören: Wenn jemand das an eine Tafel geschriebene Wort „leise“ laut ausspricht, ist ein Beobachter ebenfalls beim Lesen schneller als bei der Bezeichnung der Lautstärke.

 

Was sich beim Stroop-Effekt genau abspielt, ist nicht geklärt. Über die Komponenten, die eine Rolle spielen, sind sich die Experten einig, aber nicht über ihre Gewichtung. Mit dem Zeitfaktor allein sei dem Stroop-Effekt nicht beizukommen, obwohl vieles darauf hinweise. So weiß man beispielsweise, dass auf der Bedeutungsebene länger verarbeitet wird als auf der Klangebene. Soll man beispielsweise bei zwei gegebenen Farben benennen, ob sie jeweils eher „warm“ oder eher „kalt“ sind, dann dauert dies länger, als die Farbe zu benennen, obwohl in anderen Versuchsanordnungen die Benennung der Farbe länger dauert. 

 

Lesen aber lässt sich in dieses Muster nicht so einfach einpassen. Obwohl manche Reize schneller verarbeitet werden als Lesen, lässt sich Lesen fast nicht stören. Wenn man zu jemandem sagt „Lesen Sie dies nicht!“ und zeigt dabei auf ein Wort, dann geht das gar nicht, denn man liest es in dem Moment schon.Früher nahm man an, dass der Stroop-Effekt auf die Geübtheit des Lesens zurückgehe. Es zeigte sich aber in Experimenten, dass der Stroop-Effekt selbst bei Kindern mit geringen Lesekenntnissen zu beobachten ist. Dann gab es die Vermutung, dass Wörter schneller identifizierbar seien als andere Reize. Hier konnte Paul Fraisse 1964 jedoch experimentell nachweisen, dass Bilder schneller erkannt werden als Wörter.

 

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