Der Sprachwandel: Alles fließt

Sprachwandel – dieser Begriff begegnet jedem, der sich mit Sprache und Sprachentwicklung beschäftigen will, auf Schritt und Tritt. Als Sprachwandel bezeichnet man die natürlichen Veränderungen, die jede Sprache – auch ohne äußere Einflüsse – davonträgt. Denn auch ohne spektakuläre äußere Einflüsse – wie die Eroberung Galliens durch die Römer, die bekanntlich sogar zu einem vollständigen Austausch der Sprache, also zu einem Sprachwechsel führte – verändert sich die Sprache, und zwar jede (!) Sprache allein durch ihren Gebrauch ständig, wenn auch langsam.

 

Sprachwandel ist der Grund, warum die Franzosen nicht mehr lateinisch reden, und wir in Österreich und Deutschland nicht mehr althochdeutsch oder gar germanisch sprechen. Also einen der Dialekte, den die Indoeuropäer aus ihrer Heimat, irgendwo zwischen dem Ural und Anatolien, vor 4.000 Jahren mitgebracht haben.

 

Die Wandelbarkeit gehört zu den Universalien der Sprachen, Sprachwandel ist eine universale Eigenschaft der Sprache. Sprache ohne ständige Wandelungsprozesse ist undenkbar. Oder anders ausgedrückt: Sprachwandel entsteht automatisch. Er ist ein unbeabsichtigter Nebeneffekt menschlicher Kommunikation: Durch unsere Kommunikation erzeugen wir Sprachwandel.

 

Von besonderer Bedeutung im Rahmen des Sprachwandels ist die Verflechtung mit politischen, gesellschaftlichen, sozialen und sonstigen Einflüssen und Ereignissen. Ohne die Eroberung Galliens um das Jahr 50 v. Chr. durch Cäsar wäre z.B. die keltische Sprache der Gallier nicht durch das Lateinische ersetzt worden. Und ohne die Völkerwanderungen der Germanen ab dem 3. Jhd. n. Chr. wäre es nicht zu den Umwälzungen in Europa und dem Zusammenbruch des römischen Reiches mit der nachfolgenden Entwicklung der romanischen Sprachen gekommen. Abgesehen von solch markanten Ereignissen vollziehen sich Sprachveränderungen im allgemeinen eher kontinuierlich, fast unmerklich. Und trotzdem hat sich die Sprache nach zehn bis 20 Generationen so verändert, dass man sich schon sehr konzentrieren muss, sie problemlos zu verstehen. Und nach etwa 30 Generationen ist es mit der Verständlichkeit im Allgemeinen vorbei. Oder wer kann bspw. ohne weiteres das Nibelungenlied oder das Rolandslied lesen (beide um 1.200 n.Chr.)?

 

Die Sprache ändert sich vorwiegend in den folgenden Bereichen:

 

1. Auf der phonologischen Ebene: Die Aussprache der

Laute verändert sich, die Betonung verschiebt sich. 

2. Auf der morphologischen Ebene (Silben und Endungen):

Die Flexion (die Abwandlung von Nomen, Adjektiven,

Pronomen und Verben) ändert sich.

3. Auf der syntaktischen Ebene: Der Satzbau ist im Laufe

der Zeit einem Wandel unterworfen.

4. Auf der lexikalischen Ebene:

Der Bestand an Wörtern nimmt zu.

5. Auf der semantischen Ebene:

Die Bedeutung von Wörtern verändert sich.

 

Die wichtigsten Veränderungen finden heute im Wortschatz statt, sehr viele Einflüsse kommen aus dem Englischen. Die Massenmedien verstärken Tendenzen zur sprach-lichen Vereinheitlichung und Normierung. Die Umgangssprache, ein Mittelding zwischen Standardsprache und Dialekt, gewinnt an Bedeutung. Allgemein geht die Tendenz dahin, sich kürzer und einfacher auszudrücken, man ist um Verständlichkeit und erfolgreiche Kommunikation bemüht. 

 

Auch die Veränderungen des Sprachgebrauchs in der Gruppe der Jugendlichen ist zu erwähnen. Doch trotz berechtigter Bedenken kann die Jugendsprache nicht für den vielzitierten Niedergang der deutschen Sprachkultur verantwortlich gemacht werden, da dies hieße, Ursache und Wirkung zu vertauschen. Die Jugendsprache ist vielmehr eine Reaktion auf gesellschaftliche Gegebenheiten und Zustände und hält eher der modernen Medienlandschaft sowie dem ganzen sozialen Umfeld lediglich den Spiegel vor.

 

Hier folgen zwei Beispiele aus dem Bereich der Literatur, zwischen denen gerade mal 800 Jahre liegen...

 

Um 1200: Eingangsstrophe des Nibelungenliedes

 

Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn,

daz in allen landen niht schoeners möhte sîn,

Kriemhild geheizen. Si wart ein schoene wîp.

dar umbe muosen degene vil verliesen den lîp.

 

Die Übersetzung:

Es wuchs im Burgundenland ein adliges Mädchen auf so schön, dass es auf der ganzen Welt nichts Schöneres geben könnte, Kriemhild genannt. Sie wurde eine schöne Frau. Deswegen mussten viele Helden das Leben verlieren.

 

 

Um 2013: Strophe aus einem Poetry Slam von Mieze Medusa

 

Wir fallen grad

fallen grad aus allen Wolken,

fällen grad bei jeder Wahl ein kleines Fehlurteil

und nennen das Protest

fallen grad börsennotiert in die Tiefe

fallen grad aus allen Anstellungsverhältnissen in eine bachelorbasierte ICH-AG-Hölle

fallen grad wie Späne und schauen ungern hin, wer hobelt.

Fallen grad wiedermal auf die altbewährte Masche rein.

 

 

 

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