Die frühkindliche Sprachentwicklung

Kinder spielen, singen, malen, tanzen, für Kinder findet Sprache überall statt, sie ist der Schlüssel zur Welt. Über Sprache lernen Kinder ihre Umwelt kennen und treten in Interaktion. Je mehr Wörter und Sätze Kinder beherrschen, um so mehr entdecken sie, was sie mit Sprache alles bewirken können: sie formulieren Wünsche und Vorstellungen, erklären ihre Absichten und Meinungen oder teilen Gefühle mit. Durch Sprache lernen Kinder Fragen zu stellen und die Welt zu begreifen. 

 

Nach allem, was wir über den Spracherwerb und die kindliche Sprachentwicklung bis heute wissen, bringen Kinder in der Regel alles mit, was sie zum Erlernen der Sprache brauchen. Kinder eignen sich ihre erste Sprache in bestimmten gesetzmäßigen, aufeinander folgenden Phasen an. Phasen, welche unabhängig von der zu erlernenden Sprache bei nahezu jedem Kind gleich sind. Sprache wird im Kleinkindalter in kürzester Zeit erworben, beobachtet man im Vergleich den häufig sehr mühsamen Weg eines Erwachsenen, eine zweite Sprache zu erlernen. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder sich an die Sprache des Erwachsenen systematisch annähern. Dabei werden sprachliche Strukturen in einzelne Teilbereiche zerlegt, die sich nachein-ander angeeignet werden. Kinder entwickeln zunächst eigene sprachliche Regeln, die nicht willkürlich oder wahllos eingesetzt werden, sondern so wie die „erwachsene“ Sprache an sich ein logisches, in sich geschlossenes System ergeben.

So entwickeln Kinder die Sprache nicht als Selbstzweck, sondern um Kontakt mit anderen Menschen herzustellen und um Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse zu äußern. Darüber hinaus ermöglicht Sprache nicht nur Kontakte in einer Gruppe, sondern bestimmt auch selbst die Gruppenzugehörigkeit, sie hilft Identität zu schaffen und Identifikation mit anderen herzustellen („Wir sprechen die gleiche Sprache“). Gleichzeitig stellt Sprache eine gesellschaftliche Norm dar, die jeder Mensch in seiner Sprachgemeinschaft akzeptieren muss um nicht Gefahr zu laufen, missverstanden oder überhaupt nicht verstanden zu werden.

 

Der Ersterwerb von Sprache kann aber nicht für sich allein betrachtet werden. Vielmehr ist er Teil des gesamten Entwicklungskomplexes eines Kindes und somit abhängig von verschiedenen Faktoren. Denn viele Entwicklungen (gerade in den ersten Lebensjahren) finden parallel statt und bedingen einander bzw. beeinflussen sich gegenseitig. Der Psychologe Prof. Dr. Wolfgang Wendlandt, Spezialist für Verhaltens- und Gesprächspsychotherapie, entwickelte ein anschauliches Modell zum kindlichen Spracherwerb. Sein „Sprachbaum“ verdeutlicht, wie die unterschiedlichen Faktoren zusammenwirken müssen, damit Sprache sich entwickeln kann. 

 

Die Lebensumwelt, die Kultur und die Gesellschaft bilden den nahrhaften Boden des Sprachbaumes. Die Wurzeln des Sprachbaumes formen die verschiedenen Fähigkeiten eines Kindes, deren Grundlagen schon im Säuglingsalter angelegt sind, die Sinneserfahrungen, die Hirnreifung, geistige sowie die sozialemotionale Entwicklung. 

Wie sich Sprache bei jedem einzelnen Kind entwickelt, hängt von seiner individuellen Lebenssituation (Boden) ab und wie es die Fähigkeiten und Leistungen (Wurzeln) miteinander verknüpfen und erweitern kann. Da die Umwelt eines jeden Kindes verschieden ist, spielt vor allem der „Boden“ eine ausschlaggebende Rolle für die Individualität der Sprachentwicklung eines jeden Kindes. 

 

Den Stamm des Sprachbaumes bilden das Sprachverständnis, Sprechfreude und die Motivation zum Sprechen und schließlich Grammatik, Wortschatz sowie Artikulation. All diese Faktoren entwickeln sich aus der bisher bestehenden Grundlage (Boden, Wurzeln). Wasser und Sonne sind unerlässlich für das Wachstum des Sprachbaumes, denn „… wie Wasser auf die Wurzeln des Baumes, wirken die Vorbilder aus der Umwelt auf die Sprachentwicklung des Kindes, wie die Sonne wirken Liebe und Akzeptanz“. Die Krone des Baumes stellt letztlich die aktive Sprachentwicklung dar, die im Laufe der kindlichen Entwicklung immer mehr an Reichtum und Differenziertheit gewinnt. 

 

QUELLEN: Dr. Judith Kainhofer, Monika Großruck, Johanna Ratzenböck, Maria Köchler; Wolfgang Wendlandt, „Sprachstörungen im Kindesalter“, Georg Thieme Verlag; Diplomarbeit von Anne Mecklenburg, Fachhochschule Potsdam, 2005.

 

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